Harvard beugt sich dem Mob

Was ist eine Universität? Sie sollte nicht nur eine Diplomschmiede sein, sondern ein Hort intellektueller Freiheit. Im Kontakt mit Kultur und Wissenschaft sollte dort das Denken junger Menschen heranreifen können. Die Harvard University, auf vielen Ranglisten an der Spitze von Amerikas Elite-Unis, ist kein solcher Ort mehr. Die Universität widerrief eben die Zulassung des 18-jährigen Studenten Kyle Kashuv bloss wegen Wörtern, die er vor zwei Jahren unter Kumpels geschrieben hatte.
Kashuv durchlitt vor zwei Jahren an seiner Highschool in Parkland, Florida, einen Amoklauf, bei dem siebzehn Menschen getötet wurden. Noch vor dieser Tragödie hatte er auf einem – nicht öffentlichen – Google- Dokument in jugendlicher Kopflosigkeit wiederholt das toxische Wort «Nigger» getippt. Der 16-Jährige wollte den Raum des Verbotenen austesten. Doch nach dem Schock der Schulschiesserei sei er gereift, sagt Kashuv. Er trat in der Öffentlichkeit auf, aber anders als viele Parkland-Schüler ist er konservativ und bejaht das Recht auf Waffenbesitz. Das macht Feinde.
In Wahrheit ging die einst stolze Uni ganz einfach vor dem Online-Mob in die Knie.
Als er dank exzellenter Testergebnisse von Harvard aufgenommen wurde, rächte sich ein früherer Kollege, indem er Screenshots des Google- Dokuments veröffentlichte. Kashuv entschuldigte sich sofort, bekannte Reue. Er schrieb lange Briefe an Harvards Büro für Diversität und an die Zulassungsabteilung, worin er glaubhaft zu machen versuchte, dass er seine private Koketterie mit Rassismusvonvor zwei Jahren hinter sich gebracht habe.
Es half nichts. Offenbar eingeschüchtert von Protestschreiben gegen Kashuv, machte die Universität dessen Zulassung rückgängig. Das Aufnahmekomitee nehme «Reife und moralischen Charakter» ernst, gab Harvard heuchlerisch zurück. In Wahrheit ging die einst stolze Uni ganz einfach vor dem Online-Mob in die Knie. Harvard beging Verrat an seinen Prinzipien, damit Giftsprüher auf dem Internet seinen Ruf nicht schädigen konnten.
Feigheit bewies die Universität auch drei Wochen vorher, als sie einen Rechtsprofessor aus seiner Führungsposition entfernte, weil er an der Verteidigung des #MeToo-Angeklagten Harvey Weinstein mitwirkt. Studentenproteste gegen das Mandat waren Harvard wichtiger als der Grundsatz, dass auch verhasste Straftäter Rechtsbeistand verdienen.
Eine Institution, die ihre Mission derart memmenhaft auf dem Altar der politischen Korrektheit opfert, steht vor dem Niedergang.
Erschienen am 4. Juli 2019 in der Basler Zeitung.