Woodstock oder das Potenzial einer Pleite

Der ursprüngliche Woodstock-Organisator Michael Lang (rechts, im Bild mit dem Fotografen Henry Diltz) brachte kein 50. Jubiläumskonzert auf die Bühne. (Foto: MHG)

Die Botschaft machte Ende Juli die Runde: Es gibt dieses Jahr kein Woodstock. Ab kommendem Freitag sollte das 50-Jahr-Jubiläum des weltberühmten Musikfestivals im Norden von New York City mit einer dreitägigen Neuauflage gefeiert werden. Doch trotz monatelanger Bemühungen gab der Organisator Michael Lang auf: «Es ging uns einfach die Zeit aus.»

Der Promoter des ursprünglichen Festivals von 1969 wollte für das Remake 150 000 Besucher zusammenrufen. Spielen sollten Top Acts von Jay-Z über Miley Cyrus bis Carlos Santana, der dem Festival vor 50 Jahren seinen Durchbruch verdankt. Doch Lang konnte keine Standorte in New York State gewinnen. Die meisten Musiker sprangen ab, als nur noch die Möglichkeit eines Kleinfestivals für 30 000 in Maryland übrig blieb. Die Coda wird vor Gericht gegeben, denn «Woodstock 50» zahlte bereits Vorschüsse von 23 Millionen Dollar.

Ist die Pleite traurig? Sicher insofern, als sie zeigt, wie schwierig es im heutigen Amerika geworden ist, unabhängig von Grossunternehmen etwas Aussergewöhnliches auf die Beine zu stellen. Staatliche Auflagen und überhöhte Preisforderungen haben jene Freiräume vernichtet, in denen vor fünfzig Jahren die Hippiekultur florieren konnte. In Woodstock kam sie, wenn auch auf versumpftem Boden, zur kurzzeitigen Blüte.


Michael Langs Festival hinterliess ein Schlachtfeld


Auf einer tieferen Ebene ist es aber stimmig, dass dem 74-jährigen Lang der Nostalgietrip versagt bleibt. Wir schreiben 2019, und die Babyboomer, so sehr sie sich dagegen wehren, sollten jetzt wirklich abtreten. Als Angehörigem ebendieser Generation ist mir verständlich, dass viele Nachgeborene sich von den als eigensüchtig kritisierten Boomern um ihre Zukunft geprellt fühlen.

Ein Trost bleibt: Auch das originale Woodstock war eine Pleite. Michael Langs Festival hinterliess ein Schlachtfeld, fuhr Schulden von inflationsbereinigt 9 Millionen Dollar ein und verdarb in den USA für viele Jahre das Open-Air-Geschäft.

Dennoch wird der Name «Woodstock» auch künftig einen Wohlklang haben. Die vier verregneten Sommertage stehen nicht für einen vollendeten Erfolg, sondern symbolisieren ein Potenzial. Damals wurde eine Utopie erdacht. Ein viertägiges Experiment sollte Freiheit und Frieden in die Welt tragen. Heute ist klar, dass der Versuch scheiterte, damals wie fünfzig Jahre später. Die Vision war aber schön.


Erschienen am 13. August 2019 in der Basler Zeitung.

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